Texte

Eröffnungsrede zur Ausstellung „Von Glück und anderen Materialien“ Heilandskirche Berlin-Tiergarten am 24.11.2017
Wolf Lützen 

(……) Ich versuche zu beschreiben, was Annette Domberger so macht. Sie findet, stolpert über etwas, greift es auf, nimmt es mit, gibt ihm eine, seine Umgebung, einen Raum, vereinzelt es, lässt ihm seine Individualität. Sie baut ihm eine Umgebung, macht eine Ordnung, klebt es ein, macht einen Beutel, vielleicht eine Schachtel, bringt es hinter oder unter halbtransparentes Papier, gibt ihm ein Zuhause. Reiht es ein. Sie macht aus mehreren Teilen eine Sammlung, versammelt Ding-Individuen zu Gruppen, möglicherweise Familien, fügt sie zusammen zu einem Archiv der Dinge. Und da sind sie, sorgsam hineingehoben in eine eigene kleine Welt, in die Sie eingeladen sind, Ihre Augen hineinzuführen, Ihre Phantasie hineinzubegeben. weiterlesen / read more

 



Eröffnungsrede zur Ausstellung 
„Annette Domberger Collagen, Montagen, Objekte“ in der Kreuzkirche Nürtingen, 22. Oktober 2006
Dr. Roland Held

In meinem Katalog des Museums Heraklion und der archäologischen Stätten auf Kreta befindet sich auf Seite 42 die Abbildung eines wunderbaren spindelförmigen Väschens aus rosigem Bergkristall, dessen Henkel farblich hübsch kontrastiert, weil er gefertigt ist mittels auf Kupferdraht gezogenen, blaugrünen Glasperlen. Man sieht dem ganzen Gegen-stand an, daß er lange in kleine Splitter zerbrochen in der Erde gelegen hat und daß seine Finder ihn erst mühselig rekonstruieren mußten, bevor er museumswürdig war. „362 Einzelteile“ hat der Vorbesitzer des Katalogs – den ich mal antiquarisch erwarb – mit Tinte unter die Abbildung geschrieben, offensichtlich voll Staunen über die geleistete Tüftelarbeit. Ich weiß, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß Annette Domberger das Museum in Heraklion und dazu eine Handvoll Provinzmuseen auf ihren Kreta-Urlauben immer wieder besucht. Und auch sie fügt, als Künstlerin, ihre Welt aus tausend Splittern zusammen. Nur daß diese Splitter von sich aus nichts Kostbares an sich haben. Im Gegenteil, es geht hier, außer Papier der unterschiedlichsten Sorten, um Materialien, denen man Abnutzungsspuren ansieht, ja daß sie irgendwann weggeworfen wurden oder zwischendurch verloren gegangen sind. Sogar dem von Annette Domberger selbst produzierten Material, mutwillig zerknittert, zerrissen, aus der angestammten Ordnung gebracht, eignet, so wie es ist, etwas von Aus-dem-Papierkorb-Gefischt oder Von-der-Straße-Aufgelesen oder Aus-dem-Garten-Gebuddelt. weiterlesen / read more

 


 

Zu Land zu Wasser
Versuch über Annette Dombergers Arbeiten der Berliner Jahre
Aus dem Katalog zur Ausstellung „ Annette Domberger. Arbeiten auf Papier, Objekte“, Darmstadt 2004
Dr. Roland Held

(……..) Mit geschlossenen Augen konnten die Kubisten, die Dadaisten, die Surrealisten hineinfischen ins Angebot der Zeitungskioske und Postkartenständer, der Kramläden und Flohmärkte – trotzdem sicher, einen guten Fang zu machen. Die Augen mussten sie erst dann wieder öffnen, wenn es darum ging, ihr Strandgut an der richtigen Stelle wieder einzupassen ins Werk. Nennen wir das Ergebnis Collage. Nennen wir es Montage oder Assemblage. Aus den atemlosen Experimenten der zehner und zwanziger Jahre haben sich im Verlauf des 20.Jahrhunderts Arbeitsverfahren und Materialschwerpunkte entwickelt, die in der Kunstszene ihren festen, selbstverständlichen Platz haben.

Annette Domberger, Jahrgang 1944 zählt nach eigener Aussage zu einer Generation, der in ihrer Ausbildung die Eigenwirkung von Farbe als auch des Materials als konstitutiver Wert vermittelt wurde. „Man probiert neues Material aus wie ein Musikinstrument: man muss erst lernen, darauf zu spielen. Dazu gehört, zuzulassen, dass es sich nachträglich verändert, dass es im fertigen Werk nochmals altert.“ weiterlesen / read more

 


 

Dr. Michael Schwarz
Anlässlich der Ausstellung in den „Querverbindungen“, Berlin, 1994

„Jeder Gegenstand hat wenigstens zwei Leben. In seinem ersten erfüllt er meist eine bestimmte Aufgabe, hat eine Funktion: z.B. als Karton etwas zu verpacken, als Draht etwas zu verbinden oder als Spante neben anderen Spanten einen Schiffsrumpf zu bilden. In diesen Aufgaben wird der Gegenstand je nach Konstitution und Beanspruchung mehr oder weniger alt. Die Menschen, die den Gegenständen ihre Aufgaben zuweisen, sind gelegentlich daran interessiert, ihre Haltbarkeit zu verlängern; sie säubern, streichen, amputieren oder ergänzen sie. Aber irgendwann erfüllt der Gegenstand seine Aufgabe nicht mehr, dann wird er weggeworfen oder entsorgt. Nur wenn er achtlos beiseite gelegt, an den Rand gestellt oder vielleicht ins Meer geworfen wird, gibt es für ihn die Hoffnung auf ein zweites Leben. (…)

Während die Gegenstände in ihrem früheren Leben oft überlistet, überanstrengt, ja unterdrückt wurden, können sie jetzt endlich zu sich kommen, werden akzeptiert, so wie sie sind. (…) Annette Domberger hat auf ihren Reisen und bei ihren Aufenthalten am Meer Gegenstände gesucht und gefunden – bestimmte Gegenstände, denn eines fällt jedem sofort auf: die Gegenstände scheinen sich zu kennen, niemand ist dem anderen fremd, alle gehören sie zur gleichen großen Familie der braun-blauen Land-Meer- Fundstücke. (…) Ausgewählt werden nur solche Gegenstände , die uneindeutig, ja rätselhaft sind. Sie dürfen die Geschichte, die sie mitbringen, nicht geschwätzig erzählen, dies würde nur langweilen. Die Geschwätzigen hören nie zu. Im Bild vertragen sich diese Alleinunterhalter nicht mit anderen Gegenständen. (…) nur wenn das eine Fundstück das andere nicht unterdrückt, übertönt und also nicht zu Worte kommen lässt, ist das Gespräch der Dinge zu verstehen.