Dr. Roland Held / 2004

Zu Land zu Wasser
Versuch über Annette Dombergers Arbeiten der Berliner Jahre
Aus dem Katalog zur Ausstellung „ Annette Domberger. Arbeiten auf Papier, Objekte“, Darmstadt 2004
Dr. Roland Held

(……..) Mit geschlossenen Augen konnten die Kubisten, die Dadaisten, die Surrealisten hineinfischen ins Angebot der Zeitungskioske und Postkartenständer, der Kramläden und Flohmärkte – trotzdem sicher, einen guten Fang zu machen. Die Augen mussten sie erst dann wieder öffnen, wenn es darum ging, ihr Strandgut an der richtigen Stelle wieder einzupassen ins Werk. Nennen wir das Ergebnis Collage. Nennen wir es Montage oder Assemblage. Aus den atemlosen Experimenten der zehner und zwanziger Jahre haben sich im Verlauf des 20.Jahrhunderts Arbeitsverfahren und Materialschwerpunkte entwickelt, die in der Kunstszene ihren festen, selbstverständlichen Platz haben.

Annette Domberger, Jahrgang 1944 zählt nach eigener Aussage zu einer Generation, der in ihrer Ausbildung die Eigenwirkung von Farbe als auch des Materials als konstitutiver Wert vermittelt wurde. „Man probiert neues Material aus wie ein Musikinstrument: man muss erst lernen, darauf zu spielen. Dazu gehört, zuzulassen, dass es sich nachträglich verändert, dass es im fertigen Werk nochmals altert.“

Als die Lebensumstände ihr, nach dem Ausstieg aus dem Lehrerberuf, wieder mehr Zeit zum eigenen Schaffen ließen, fand sie bald zu eben diesen Wurzeln zurück. Über mehrere Jahre widmete sie sich der Collage unter Rückgriff auf blanke ebenso wie bedruckte und beschriebene Papiere, außerdem auf Karton unterschiedlicher Sorten und Stärken. Mit den formalen Untersuchungen bezüglich Flächigkeit und Raumtiefe, Gegenstandsillusion und -realität, die Picasso und Braque zu ihren „Papiers collés“ trieben, hatte das zunächst einmal mehr zu tun als mit den Agitations- und Schockeffekten, um welche es den Dadaisten und Surrealisten ging, wenn sie gewohnte Elemente der Wirklichkeit in irrwitzig ungewohnte Paarungen zwangen. Die Ergebnisse schienen Ende der achtziger Jahre beispielhaft für eine Strömung der Collage-Praxis, die es – als  Reaktion vielleicht auf die Lautstärke vieler Malerei und mit einem Blick hinüber zur Materialkunde der Arte Povera – vorzog, in kammermusikalisch verhaltener Weise zu intonieren und aus dem Reiz reicher stofflicher Übergänge und koloristischer Nuancen zu schöpfen. Im Falle von Annette Domberger waren das Siena-, Grau- und Ockertöne, wobei die zeichnende und malende Hand sich anfangs auf Zuträgerfunktion beschränkte. Wichtiger waren die eingesprengselten Fragmente von Briefmanuskripten, oft antiquarisch oder fremdländisch oder beides zugleich, dazu Gedrucktes. Am wichtigsten freilich blieb die wechselnde Textur des Materials, vom zarten Seidenpapier zur industriellen Pappe, blieb der differenzierte Umgang damit: die unregelmäßigen Rissränder, Umklappen und Auffältelung, Überdeckung und Bloßlegen, Reihung und Schichtung. Schichtung – nicht von ungefähr strahlten viele Collagen jener Jahre eine landschaftliche Anmutung aus, komplett mit rätselhaften topografischen Markierungen und Behausungen des Menschen. Die Urheberin selbst hat einmal von den simultan sichtbaren Sedimenten in einem Steinbruch gesprochen.

Dies so ausführlich nur als Hintergrund für die sich anknüpfende Entwicklung. (…..)

Das Strandgut hielt, jetzt (Anm. 1992, nach dem Umzug nach Berlin) im buchstäblichen Sinn, Einzug in das Schaffen. Bei jährlich mehrfachen Aufenthalten an der See bediente sich Annette Domberger aus einer „zweiten Natur“ von Dingen, die der Mensch lange genug aus seinem Reich verstoßen hat, dass sie denen der ersten Natur zu ähneln beginnen. …… Fundstücke, die zwar noch deutliche Merkmale menschlicher Produktion und menschlichen Gebrauchs tragen, deren exakte Funktion aber nicht mehr festzulegen ist. ….. Das Meer hat ganze Arbeit geleistet. So werden die Fundstücke freigesetzt für neue Funktionen: solche ästhetischer Natur innerhalb der von der Künstlerin verordneten, mal eher asketisch – kargen, mal höchst komplexen Komposition, solche imaginativer Natur in der vom Betrachter zu leistenden Interpretation oder Interfabulation. (…..)

Das Objektkasten-Prinzip steht hier nicht schlicht für Aufbewahrung. Es beschwört museale Präsentation herauf, was die Bedeutung des zentral Exponierten nochmals unterstreicht und gleichzeitig alles in seinem Umfeld Geritzte, Gezeichnete, Geschriebene zu ihm in Bezug setzt, den wir gewohnheitsmäßig als Erläuterung auffassen, als Zusatzinformation, die Auskunft zu Fundort, Maßen oder sonstigen Parametern erteilt, über Verwendung spekuliert usw. Solche Pseudo-Wissenschaftlichkeit wird auf die Spitze getrieben von der „Landkarten“-Serie. Indem diese mit tatsächlichen Karten als Bild- und Objektträgern arbeitet, die gleichmäßig, doch nicht wirklich deckend weiß zugestrichen sind, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich bei den einzeln in zartes Seidenpapier gehüllten und verleimten Applikationen um Inseln handelt. (…) In Wahrheit handelt es sich bei den Applikationen nur um eine andere Kategorie Fundstücke: dünne Plättchen Rost oder Farbe, die der Zahn der Zeit von Schiffsrümpfen losgenagt hat, in einer Laune vom Meer wieder ausgespieen wie die größeren Objekte auch. Für die Ex-Geographie-Studentin Annette Domberger ist die „Landkarten“-Serie (….) willkommener Anlass, von einfacher Reihung überzuwechseln zu vielteiliger Gruppierung, deren Systematik durch lineare Bleistift-Hinzufügungen oder eingeklebte Zahlen nur noch rätselhafter wird. Ein Auf-Trab-Halten der Betrachter-Phantasie, das sich fortsetzt auf den Bitumen-Bildern, den Transparent-Bildern wie auch den jüngeren Collagen….

Nun ist es so, dass ja auch jedes künstlerische Beispiel von Collage, auf je eigene Weise destruktive mit konstruktiven Impulsen aufwiegt. Sonst bliebe es beim willkürlichen Durcheinander von Wirklichkeitsschnipseln, ohne Werkergebnis, das formalen Kriterien genügen und eine spezifische Aussage transportieren kann. (…) Annette Domberger  kommt dieser Aufgabe auf dem Feld des Ästhetischen nach – mit subtilen Mitteln, mit so viel Fingerspitzengefühl für stoffliche Qualitäten, dass in manchen Werken deren heterogene Herkunft nahezu  überspielt  wird. Und auf dem Feld des Intellektuell – Imaginativen bietet sie ein ganzes Spektrum an Deutungen  an, …..Deren gemeinsamer Nenner läge darin, dass Zeitvergang und Metamorphose, Materialschrift und Geheimbotschaft immer eine tragende Rolle haben werden. (…..)

Schon ein erster Blick (auf die Zeichnungen) verblüfft, nach der souverän kalkulierten Durchgestaltung des bisher Geschilderten, die fast kindliche Frische, die temperamentvolle Spontanität dieser Blätter, die sich um Wischer, nur nachlässig kaschierte Reuestriche und Über-den-Rand-Hinausschießen wenig scheren. Gewiss, ganz ohne in- und neben- und übereinandergeklebte Papiere geht es nicht ab. Doch es sind die – mal kalkig grundierten –  Farbflecken und die beileibe nicht nur schwarzen Setzungen der Stifte und Kreiden, was die eigentlichen Schichten schafft. Als Werkzeug die geradezu erzählerisch abwechslungsreiche Strichführung: fett und mager, durchgezogen und geradelt, linear und geknäuelt, locker und fest, scharf und unscharf, weit ausholend und kleinteilig Binnenraum füllend…. Und alles stets sprühend vor Leben. Überzeichnung, Übermalung schafft nicht nur farbliche Mischtöne, sondern die Wirkung eines Tiefenblicks. Jedes Blatt seine eigene Genesis, sein eigener durchschwimmender Prozess. Jedes Blatt ein Palimpsest.

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©Dr. Roland Held